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Bittersüß, Solanaceae.

Name:

Solánum dulcamára L. (= Dulcamara flexuosa Moench). Bittersüß, Bittersüßer Nachtschatten. Französisch: Douce-amére, réglisse sauvage, morelle rouge; englisch: Dog-wood, sweet bitter; italienisch: Dulcamara corallini; dänisch: Bittersöd, Troldbär; litauisch: Karktavijas; norwegisch: Slyngende sötvider; polnisch: Slodkogorz; russisch: Paslen sladko-gorky; tschechisch: potměchut; ungarisch: Keserü-edes csucsor.

Verbreitungsgebiet

Weiteres Vorkommen: Nordafrika, Westasien, Nordamerika.

Namensursprung:

„Solanum“ (Pflanzenname bei Celsus 1. Jahrh. n. Chr.) abgeleitet vom lateinischen solari = schmerzstillen, nimmt Bezug auf die krampf- und schmerz-stillenden Eigenschaften, durch die sich einzelne Familienangehörige, wie Tollkirsche, Stechapfel u. a. auszeichnen. In dulcamara finden sich die lateinischen Worte dulcis = süß und amarus = bitter in bezug auf den anfänglich bitteren, dann süßlichen Geschmack des Stengels.

Volkstümliche Bezeichnungen:

Nach den windenden Stengeln heißt die Pflanze wie andere windende Gewächse Je länger je lieber (Niederösterreich, bayr. Schwaben, Schweiz). Auf den windenden Stengel nehmen ferner Bezug Waaterwing = Wasserwinde, wegen des Standorts am Wasser (Niederrhein) und wohl auch Natterholz (z. T. auch wegen der giftigen Beeren) (Steiermark). Wolfsbeer (Kärnten), rote Hundsbeer (Tirol), Chrotte(n)-Beri (Schweiz: Unterwalden), Henabir = Hühnerbeere, weil tödlich für die Hühner? (Böhmerwald), Gu(d)nkirchen = Judenkirschen (Egerland). Die Stengel riechen mäuseartig, werden auch hier und da zur Vertreibung von Mäusen benützt, weshalb die Pflanze in vielen Gegenden als Mausholz bezeichnet wird. Hinsch-, Hühnerkraut (ältere Formen), Hiingscht (Baden), Hengschtkraut (Lothringen) beruhen auf der früheren Verwendung der Pflanze gegen „Hinsch“, eine seuchenartige Viehkrankheit. Das ostfriesische Pißranken deutet auf eine Verwendung gegen Harnkrankheiten hin.

Botanisches:

Die Pflanze ist ein Halbstrauch mit kriechender, verzweigter Grundachse. Der kletternde oder niederliegende Stengel wird bis zu 2 m lang. Er verholzt und wird mehr als fingerdick. Im oberen Teile ist er krautig, etwas kantig, meist kahl. Die gestielten Laubblätter sind in der Form ziemlich verschieden, gewöhnlich eiförmig-lanzettlich, spitz oder zugespitzt, am Grunde oft herzförmig. Die oberen nicht selten spießförmig oder geöhrt, dreizählig, beiderseits zerstreut behaart. Blüten in rispenartigen, langgestielten mehr oder weniger überhängenden Wickeln. Kelch fünfzähnig, bleibend. Blütenkrone violett, Saum fünfteilig, mit spitzen, waagerecht abstehenden, später etwas zurückgeschlagenen Zipfeln, letztere der Länge nach gefaltet, am Grunde mit zwei weißgesäumten, grünen Flecken. Staubbeutel goldgelb, zu einer kegelförmigen Röhre verwachsen, an der Spitze mit drei Löchern aufspringend. Fruchtknoten kegelförmig, kahl. Frucht eine eiförmige, glänzend scharlachrote, hängende Beere. Blütezeit: Juni bis August. Die Pflanze ist in Europa heimisch, ebenso wie in Nordafrika und bis weit nach Asien (China, Japan) verschleppt, wahrscheinlich auch nach Nordamerika. Sie kommt in feuchten Gebüschen, an Ufern, in Auenwäldern, in Hecken und auf Waldschlägen, doch auch auf Geröllhalden und Dünen vor. Man trifft sie oft als Überpflanze (Epiphyt) auf Kopfweiden usw. an, da die leuchtenden Beeren von Vögeln verschleppt werden. Die Samen keimen nur sehr langsam und bedürfen dazu des Lichtes.

Geschichtliches und Allgemeines:

Es läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob der Smilax des Theophrast und der des Dioskurides mit Solanum dulcamara identisch sind. Bei den Vätern der Botanik des Mittelalters wird die Pflanze abwechselnd Dulcisamara und Amara Dulcis genannt, als harn- und stuhltreibendes Mittel bei Gelbsucht und Fieber erwähnt. Lonicerus widmet ihr in seinem Kräuterbuch ein langes Loblied. Der holländische Arzt Boerhaave (18. Jahrh.) verwandte sie viel als diaphoretisches Mittel bei Pneumonie und Pleuritis, Linné bei Syphilis, Rheumatismus und Gicht. Im Giftpflanzenbuch von Berge und Riecke (1855) werden verschiedene Versuche in bezug auf die verschiedenartige Wirkung des Solanum dulcamara beschrieben. So ließ Josef Frank einen Kranken innerhalb 24 Stunden eine Abkochung von 8 Lot der Stengel nehmen, ohne den geringsten Nachteil zu bemerken; Schlegel dagegen sah nach 2 Lot des Extraktes Wadenkrämpfe, Krämpfe in den Händen, Eingenommenheit des Kopfes, Schwindel und Flimmern vor den Augen, Aussetzen des Pulses, kalten Schweiß, Geschwulst und Steifheit der Zunge auftreten.

Wirkung

Schon von Paracelsus wird Dulcamara erwähnt.

Bock läßt das Rebenholz gegen Magenfieber und hartnäckige Gelbsucht als Purgans und Diuretikum anwenden.

Matthiolus auch das Kraut gegen Jucken und Krätze bei Mensch und Vieh.

v. Haller nennt Dulcamara ein gut auflösendes, zerteilendes und eröffnendes Mittel bei Husten, Engbrüstigkeit, Gelbsucht und zur Zerteilung geronnenen Blutes nach Fall usw.

Nach Poupart ist sie ein gutes Mittel bei Flechten. Die Besserung soll aber erst nach einer einige Tage dauernden Vermehrung der Flechten eintreten.

Von Hufeland wurde das Mittel häufig verordnet, z. B. bei Phthisis als schmerzlinderndes, hustenverminderndes und die Heilung der Lunge förderndes Mittel.

Ein Mitarbeiter Hufelands, Becker, Leipzig, gebrauchte Dulcamara mit Erfolg gegen Gichtanfälle.

Ludwig-Jauer verordnete es bei Geisteskranken mit Erethismus. Als Antidyskratikum gebraucht Clarus die Stengel bei chronischen Hautausschlägen wie Akne, Ekzem, Impetigo faciei und Ekthyma vulgare. Bei squamösen Hautleiden sah er keinen Nutzen von ihrer Verordnung, ebensowenig bei Gicht, während sie bei chronischem Muskelrheumatismus schmerzlindernd wirken. Reizzustände der Niere bilden eine Kontraindikation. Bei Katarrhen der Luftwege mit krampfhaftem Husten sah Clarus gleichfalls „recht gute Erfolge“ mit Dulcamara.

Nach Garrod sind die Haut und die Nieren die Hauptangriffspunkte für Dulcamara.

Leclerc zählt sie zu den Diaphoretika und Blutreinigungsmitteln. Die von ihm zitierten Gardner und Bretonneau sollen sie als „das am wenigsten unzuverlässige Blutreinigungsmittel bei Hautkrankheiten“ bezeichnet haben.

Bei Rindern wurden nach Aufnahme der Pflanze stark entzündliche Ödeme, Venenpuls, Tachykardie, Palpitationen, hämorrhagische Enteritis und Albuminurie festgestellt.

Nach Geßner sind alle Teile der Pflanze giftig und enthalten das kristallisierende Glykoalkaloid Solanin (in reifen Beeren 0,3-0,7%, in den zwei- bis dreijährigen Stengeln 0,3%, weniger in Blättern, Blüten und Wurzeln), ferner das Glykoalkaloid Solanein (= amorphes Solanin) und das Solanidin, das neben verschiedenen Zuckern bei der Spaltung der beiden oben genannten Glykoalkaloide entsteht. In der Pflanze ist weiter ein bitteres glykosidisches Saponin, das Dulcamarin, enthalten. Vollmer wies in Kraut, Stengel und Wurzel etwa 10% Gerbstoff nach.

Solanin ist ein Protoplasmagift, welches örtlich stark reizend und wie die Saponine auch hämolytisch wirkt. Bei innerer Anwendung ist wegen der geringen Resorption die Auflösung der roten Blutkörperchen nicht erkennbar. Die starke örtliche Reizung führt im Magen zu Erbrechen, und wenn das Erbrechen ausbleibt, zu von heftigsten Durchfällen begleiteten Darmentzündungen. Auch bei parenteraler Darreichung treten diese Entzündungen auf, da das Solanin vom Darm aus ausgeschieden wird. Nach der Resorption vom Darm treten auch Reizung und schwere Entzündung der Nieren ein, durch die das Solanin unverändert ausgeschieden wird. Bei weiterer Vergiftung treten erst Krämpfe, dann Lähmungen mit Schädigung der Atmung auf, schließlich erfolgt der Tod an Atemlähmung im Koma. Das Solanin wirkt auf den Herzschlag zunächst beschleunigend, dann in größeren Dosen lähmend. Das Solanein wirkt ähnlich, die Spaltbase Solanidin hat die örtlich reizende Wirkung verloren, sie ist auch weniger wirksam als Solanin. Das Saponin Dulcamarin ist noch wenig untersucht, im wesentlichen dürfte es die Solaninwirkung unterstützen.

Nach Poulsson ist bei der Vergiftung neben der Benommenheit und Mattigkeit eine große Empfindlichkeit gegen Licht, Schall und Berührung vorhanden. Bei Rindern wurden nach Aufnahme der Pflanze stark empfindliche Ödeme, Venenpuls, Tachykardie, Palpitationen, hämorrhagische Enteritis und Albuminurie festgestellt. Die Prognose ist nach Geßner auch bei schweren Vergiftungen meist günstig. Man behandelt die Vergiftung 1. ätiotrop durch Abführmittel, Brechmittel und hohe Einläufe und Tierkohle, 2. symptomatisch wegen der zentrallähmenden Solaninwirkungen nicht durch Opiate, sondern durch Uzara,. Adstringentien und Mucilaginosa, dazu Analeptika für Kreislauf und Atmung (warmhalten).

Die homöopathische Wirkungsweise schildert Hahnemann selbst wie folgt: „Hat das Bittersüß, wie v. Haller bei Vicat versichert, von Verkältung entstandenen Husten geheilt, so kam es daher, weil es bei feuchtkalter Luft vorzüglich geneigt ist, mancherlei Verkältungsbeschwerden hervorzubringen, wie Carrère und de Haen beobachteten. – . . . Vergeblich würde man den inneren Grund, warum gerade Bittersüß so wirksam eine Art Flechten und Herpes (unter den Augen eines Carrè, Fouquet und Poupart) geheilt hat, in den Regionen träumerischer Vermutungen . . . suchen, da er uns von der einfachen Natur so ganz in die Nähe gelegt worden ist, nämlich: das Bittersüß erregt für sich eine Art Flechten, und Carrère sah von seinem Gebrauche einen Herpes zwei Wochen hindurch sich über den ganzen Körper verbreiten, und bei anderer Gelegenheit Flechten auf den Händen davon entstehen. Gibt es einen naturgemäßeren Zusammenhang zwischen Kraft und Wirkung?“

In der neueren homöopathischen Literatur wird Dulcamara als Mittel „für die lymphatisch-rheumatisch-hydrogenoide Konstitution mit großer Erkältungsneigung bei naßkalten Einflüssen“ (Stauffer) bezeichnet. Als Einzelindikationen werden u. a. angegeben: Rheumatismus der Muskeln und Gelenke, der sich bei naßkaltem Wetter verschlimmert, rheumatische Lähmungen, Schleimhauterkrankungen wie akuter Magenkatarrh mit Erbrechen, saurer Diarrhöe und Kolik, Rhinitis, Laryngitis, Otitis media, akute Cystitis, Amenorrhöe u. U. mit Epistaxis, Hauterkrankungen mit Jucken, Hitze, Quaddeln und Bläschen.

Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):

Dänemark: Innerlich gegen Gicht, Flechten und Unterleibsstockungen.

Litauen: Der Aufguß der Sproßspitzen bei Husten.

Italien: Gegen Furunkel.

Polen: Als Ersatz der Sarsaparille als stark wirkendes Diuretikum und Diaphoretikum.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Ein wichtiger Angriffsbereich der Dulcamara ist die Haut, und zwar sind es hier hauptsächlich die juckenden Dermatopathien, Urtikaria, skrofulöse Exantheme, Ekzeme, Flechten mit Drüsenschwellungen und Flechten auf den Brüsten der Wöchnerinnen, die günstig davon beeinflußt werden. Als wichtigere Indikationen sind noch Asthma und Skrofulose zu nennen.

Dulcamara wird weiter als gutes Mittel bei Erkältungskrankheiten und damit in Zusammenhang stehenden Leiden, insbesondere neuralgischen und rheumatischen Beschwerden, bezeichnet. Es wird verordnet bei Blasenkatarrh und – lähmung, Blasenhalsreizung, Diarrhöen, unterdrückten Menses, Angina, Grippe, Otitis media, Ohrenfluß und -reißen und rheumatischen Lähmungen des Facialis- und Vagusgebiets. Bei Urethersteinen empfiehlt Meyer, Berlin, Dulcamara im Wechsel mit Rubia „Teep“ und Eupatorium Oligoplex.

Als Wechselmittel bei Erkältungskrankheiten werden am häufigsten Aconitum und Belladonna gegeben.

Angewandter Pflanzenteil:

Matthiolus und Bock empfehlen das „Rebenholz“, das Kraut wird von ihnen nur äußerlich angewendet.

v. Haller kennt den Gebrauch der Wurzel.

Hufeland nennt unter einer ganzen Anzahl von Belegstellen, die nicht näher den angewandten Pflanzenteil bestimmen lassen, dreimal die Stengel (Stipites).

Geiger und Clarus verwenden die im Frühjahr vor der Blattentwicklung und im Herbst nach dem Abfallen der Blätter gesammelten, einjährigen Stengel, Stipites Dulcamarae.

Von Zörnig werden die getrockneten Triebe, Caules Dulcamarae, angeführt. Auch Thoms nennt die zwei- bis dreijährigen, im Frühjahr oder Spätherbst gesammelten, getrockneten Triebe.

Das HAB. läßt zur Bereitung der Urtinktur die frischen, vor der Blüte gesammelten jungen Schößlinge mit Blättern verwenden (§ 1). Das „Teep“ wird aus den frischen Stengeln hergestellt.

Stipites Dulcamarae sind offizinell in Frankreich, Mexiko, Österreich, Portugal, Spanien und Venezuela.

Dosierung:

Übliche Dosis:

0,6-1,2 g des Extraktes täglich (Clarus);

0,5-2 g des Pulvers mehrmals täglich (Klemperer-Rost).

1 Tablette der Frischpflanzenverreibung „Teep“ drei- bis sechsmal täglich.

(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 10% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,025 g Stip. Dulcamarae.)

In der Homöopathie:

dil. D 2-4.

Maximaldosis:

Nicht festgesetzt, doch rufen größere Dosen Vergiftungs-erscheinungen hervor.

Rezepte:

Bei Psoriasis und Pityriasis (nach Meyer):

Rp.:

Stipit. Dulcamarae 0,1 (= Bittersüßstengel)
f. pulv. tal. dos. Nr. XX.
D.s.: Dreimal täglich 1 Pulver.

Species pectorales (nach Burow):

Rp.:

Hb. Cardui benedicti (= Kardobenediktenkraut)
Hb. Centaurii min. (= Tausendgüldenkraut)
Lichen. Islandici (= Isländisch Moos)
Stip. Dulcamarae  aa  60,0 (= Bittersüßstengel)
conc. divid. in part.
X. D.s.: 1 Päckchen mit 2 l Wasser auf 1 l einkochen und tagsüber lauwarm verbrauchen.

Bei Rheumatismus und Neuralgien (nach Hager):

Rp.:

Extracti Dulcamarae 2,0
Sirupi Sacchari 98
M.d.s.: 2-3 Teelöffel voll tägl.

Bei Rheuma (nach Türk):

Rp.:

Stipit. Dulcamarae (= Bittersüßstengel)
Lign. Guajaci (= Pockholz)
Rad. Sarsaparillae (= Sarsaparillewurzel)
Lign. Sassafras (= Fenchelholz)
Fol. Betulae (= Birkenblätter)  aa  20,0
C.m.f. species.
D.s.: 1 1/2 Teelöffel auf 2 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen
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Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938
Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.

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