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Giftlattich, Compositae.

Name:

Lactúca virósa L. (= L. silvestris Lam.). Gift-Lattich, Giftsalat, Stinksalat. Französisch: Laitue vireuse; englisch: Prickly lettuce, hemlock lettuce; dänisch: Laktuk; italienisch: Cavolanio; polnisch: Loczyga; russisch: latuk, schwedisch: Giftsallad; tschechisch: Locika jedovatá; ungarisch: Disznósaláta.

Verbreitungsgebiet

Weiteres Vorkommen: Westasien.

Namensursprung:

Der Gattungsname Lactuca ist aus dem lateinischen lac = Milch wegen des weißen Milchsaftes der Pflanze gebildet worden; virosa = stark stinkend, giftig, kennzeichnet die giftigen Eigenschaften. Das deutsche Wort Lattich ist aus dem lateinischen Lactuca entlehnt worden.

Botanisches:

Die ein- oder zweijährige, bis 1,50 m hohe Pflanze ist an steinigen, sonnigen Stellen Süd- und Mitteleuropas, Nordafrikas und Westasiens häufig anzutreffen. Die Blätter sind eilänglich. Der runde Stengel trägt die gelben Korbblüten in einer pyramidenförmigen Rispe. Wegen ihres mohnartigen Geruches wird sie auch Stinksalat genannt. Die frühere Annahme, daß der Milchsaft giftig ist, hat sich neuerdings nicht bestätigt.

Geschichtliches und Allgemeines:

Der Same und der Saft des Giftlattichs sind im Altertum schon arzneilich verwendet worden, wenn auch in den Schriften jener Zeit nicht immer scharf zwischen dem Gartensalat und dem Giftlattich unterschieden wurde. Die auf die narkotische Wirkung des Lattichs bezugnehmenden Belegstellen werden entweder auf unsere Art, meistens aber auf L. scariola gedeutet. Die narkotischen Eigenschaften der Lactuca waren schon zu Zeiten Pythagoras bekannt und man nannte den Lattich daher wegen seiner dämpfenden Wirkung auf die Sexualität „Pflanze der Eunuchen“. Der Salat spielte im alten Rom eine große Rolle als diätetisches Heilmittel, und es wird berichtet, daß der Kaiser Augustus durch ihn geheilt worden sei. Auch Galen schreibt, daß er abends nicht einschlafen konnte, ohne Salat gegessen zu haben. Der eingetrocknete Milchsaft (Lactucarium), welcher von Dioskurides und Plinius mit dem Opium verglichen und damals schon zur Verfälschung des Opiums gebraucht wurde, diente hauptsächlich als Diuretikum. Dieser Milchsaft findet sich nicht nur in Lactuca virosa, sondern auch in Lactuca sativa (Speisesalat, allerdings nur in geringen Mengen) und anderen Lactucaarten. Dioskurides beschreibt eine der heutigen Sammelmethode ähnliche Ernte des Saftes. Auch Trallianus spricht von dem Milchsaft des Stengels. Die Samen fanden ebenfalls bei den griechischen Ärzten Verwendung.

Im Mittelalter scheinen, wie aus den Schriften des Macer Floridus und Cordus zu ersehen ist, besonders die Früchte eine große Rolle gespielt zu haben Die h l. Hildegard führt die Pflanze als Lactuca agrestis, L. Fuchs und Garsault als Lactuca romana auf. – In den folgenden Jahrhunderten geriet sie in Vergessenheit, auf ihren Wert als Opiumersatz machte erst der Wiener Arzt H. J. Collin 1771 wieder aufmerksam. Die Herba Lactucae virosae s. Intybi angusti, sowie Extrakte und Tinkturen dienten als Diuretikum und Purgans oder wurden gegen Krämpfe und Herzkrankheiten gebraucht. Das Lactucarium spielte bis zur Entdeckung des Chloroforms bei Operationen eine große Rolle. In der Auvergne wurde die Lactucarium-Gewinnung durch den Apotheker Aubergier 1841 und in Zell an der Mosel durch den Apotheker Alois Goeris bekannt. Wie Peyer berichtet, erfolgt die Gewinnung des Lactucariums in Zell in der Weise, daß die Pflanzen kurz vor der Blütezeit etwa 30 cm unterhalb der Spitze geköpft und der austretende Milchsaft in einer Tasse gesammelt wird. Nach einigen Tagen wird die Pflanze einige Zentimeter tiefer abgeschnitten. Dieser Vorgang wird laufend drei bis vier Monate lang wiederholt, bis schließlich die ganze Pflanze aufgebraucht ist. Im Sammelgefäß gerinnt der Milchsaft, bräunt sich an der Oberfläche und wird an der Sonne getrocknet.

Wirkung

Der Giftlattich fand auch bei Paracelsus Anwendung.

Lonicerus empfiehlt, das Wasser davon bei Entzündungen des Kopfes, der Leber und des Magens aufzulegen.

Matthiolus läßt die Milch des Giftlattichs verwenden, die „den Schlaf bringt und die Schmerzen legt“, emmenagog wirkt und gegen Wassersucht hilft, äußerlich die Starflecken der Augen vertreibt. Der Samen wirkt nach seinen Angaben anaphrodisierend.

1799 empfahl Coxe in Philadelphia, den Giftlattich wieder in den Arzneischatz aufzunehmen.

Hufeland verordnete Lactuca virosa ebenfalls als narkotisches Mittel. Ein von ihm veröffentlichter Bericht von Wolff, Warschau, bezeichnet den Lactuca-Extrakt als „eins der kräftigsten Palliativmittel gegen Asthma, und Gumprecht rühmt ihn als äußerst wirksames Mittel im Stadium convulsivum des Keuchhustens und gegen Erstickungsanfälle bei Brustwassersucht.

Stephenson und Churchill kennen Lactuca virosa als mildes Sedativum und Diuretikum, dagegen bezeichnet Garrod die narkotischen Eigenschaften als sehr gering.

Der èingedickte Milchsaft Lactucarium war ein häufig angewandtes Hypnotikum und diente seit dem Altertum als Ersatz des Opiums.

Leclerc empfiehlt das Lactucarium als besonders wertvoll für die Kinderpraxis, und zwar bei nervösen Aufregungszuständen, Schlaflosigkeit, Hustenanfällen, besonders während des Keuchhustens. Er zitiert Pouchet, welcher hervorhebt, daß das Lactucarium beruhigend wirke bei nervöser Reizbarkeit ohne vorhergehendes Exzitationsstadium, wie ein solches durch Opium hervorgerufen wird. Auch bewirkte es nicht wie dieses Verstopfung, Appetitlosigkeit oder vasomotorische Störungen. Er hat es mit gutem Erfolge gegen hartnäckige Spermatorrhöe und symptomatischen Priapismus der Blennorrhagie angewandt. Es erhöhe bei Kindern die Toleranz gegen kleine Opiumdosen und korrigiere bis zu einem gewissen Grade deren schädliche Wirkung. Auch Pic und Bonnamour betonen, daß Lactucarium, ohne hypnotisch zu wirken, eine beruhigende Wirksamkeit besitze gegen Schmerzen, Reizbarkeit und Husten bei Erkrankungen der Atmungsorgane.

Laut persönlicher Mitteilung ist nach Vollmer, Breslau, die Wirkung anscheinend sehr vom Standort abhängig.

In der Volksmedizin findet der Giftlattich Anwendung bei Asthma und hydropischen Zuständen.

H. Schulz beschreibt einen Selbstversuch Danzels, der nach einer Dosis von 2-2,5 g Lactucarium Nausea und Schlafsucht empfand, nach größeren Dosen trat anhaltender Schlaf auf.

Der Milchsaft scheint auf das Hustenzentrum beruhigend zu wirken.

Blumenthal machte mit Vorteil Gebrauch von Lactucarium oder einem Extrakt aus diesem bei opiatempfindlichen Kranken. 0,005-0,1 g reichten im allgemeinen zur Linderung starken Reizhustens aus. Bei Schmerzen wurde bis zu 0,3 g gegeben. Die Nebenwirkungen bestanden in leichter Eingenommenheit des Sensoriums, mäßigem Kopfweh und gelegentlich beschleunigtem Stuhl. Sie wurden von den opiatempfindlichen Kranken gern in Kauf genommen. Verwendet werden Pillen, Pulver und Emulsionen mit Extr. cort. aurant. und Syrup. Die Wirkung tritt etwa nach 1/2-1 Stunde ein.

Nach Skworzoff und Sokolowski ruft Lactuca virosa im Tierversuch eine vom Zentrum zur Peripherie gehende Verminderung der Erregbarkeit der motorischen Nerven, der Reflexerregbarkeit und der Sensibilität hervor. Die eintretende Somnolenz ist kein echter Schlaf. Die Respirationstätigkeit läßt nach, und nach einem Exzitationsstadium erfolgt durch Fortschreiten der Herzlähmung der Tod.

Munch und Mitarbeiter prüften das Lactucarium nach dem Munch-Verfahren auf die ihm früher verschiedentlich zugeschriebene mydriatische Wirkung hin. Diese konnte in keinem Falle nachgewiesen werden.

Orfila beschreibt mehrere Versuche der Einwirkung von Lactucarium auf Wunden. Der Extrakt ist nach ihm wirksamer, wenn er ohne Erwärmung hergestellt wird. Er wirkt merkwürdigerweise, äußerlich auf das Zellgewebe von Rücken oder Schenkel gelegt, schneller als wenn er in die Jugularvene injiziert wird. Er wirkt narkotisch aber in weit geringerem Maße als Opium.

Geßner gibt als Vergiftungssymptome Schweißausbruch, Beschleunigung der Atmung und der Herztätigkeit, Pupillenerweiterung, Schwindel, ataktische Erscheinungen, Ohrensausen, Sehstörungen, Kopfdruck, Schlaf mit schweren Träumen, gelegentlich auch Aufregungszustände an. Es ist ratsam, bei einer Vergiftung der Behandlung der Kreislaufschwäche größte Beachtung zu schenken.

Die beruhigende Wirkung des Lactucariums beruht wohl auf einem skopolaminähnlichen Bestandteil, jedoch ist die Rolle der verschiedenen Inhaltsstoffe noch ungeklärt, vor allem die des Bitterstoffes Lactucin, ferner die des Lactucerins, des Essigsäureesters eines noch nicht identifizierten Alkohols.

Auf Grund von neueren pharmakologischen Untersuchungen nimmt W. A. Forst an, daß die eindeutige sedative Wirkung im wesentlichen auf die beiden Inhaltsstoffe Lactucin und Lactucopikrin zurückgeführt werden kann. Auch ließ sich erneut die Ungiftigkeit des Milchsaftes feststellen.

G. Schenck beschreibt ein neues Verfahren, durch das in sehr kurzer Zeit aus dem frischen Milchsaft ein Trockenpulver gewonnen werden kann, das alle wirksamen Substanzen enthalten soll.

Das Lactucarium war noch im DAB. II enthalten, ist dann wegen des raschen Verschwindens der Wirkung beim Lagern weggelassen worden und weitgehend in Vergessenheit geraten.

Untersuchungen über die Fermente des Milchsaftes brachten Bauer und Brunner zu dem Ergebnis, daß in dem frischen Milchsaft zwei Oxydationsenzyme, eine Tyrosinase und eine Laccase, enthalten sind. Während im frischen Milchsaft die Reaktionen auf Oxydasen also stark positiv ausfielen, blieben sie bei der Prüfung der Handelsdroge fast völlig aus. In einer Probe, die nach Angaben der Lieferfirma als Droge neuer Ernte bezeichnet war, traten sehr schwache Reaktionen auf Tyrosinase und Laccase ein. In einer zweiten ein Jahr alten Droge blieben die Reaktionen völlig aus. Hinsichtlich der Erhaltung der Fermente in Zubereitungen aus Lactuca virosa wurde gefunden, daß im „Teep“-Präparat Peroxydase, Oxydase und Katalase erhalten geblieben waren, während in der homöopathischen Urtinktur Oxydase und Katalase nicht und Peroxydase nur schwächer nachweisbar waren. Die Blätter wirken nicht bakterizid bzw. fungizid.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Der Giftlattich wird neuerdings wieder mehr verordnet. Er wirkt schmerzstillend und beruhigend, vorwiegend bei chronischen Schleimhautkatarrhen mit Neigung zu Spasmen. Einzelindikationen sind: Bronchitis chronica, Larynxkatarrhe, Asthma, Pertussis, Reizhusten und Dyspnoe, nervöse Schlaflosigkeit und krampfhaft gesteigerte Libido. Killian empfiehlt das Mittel auch bei progressiver Bulbärparalyse, während W. Baumann es bei erethischer Skrofulose nennt.

Als Diuretikum wird es bei Cystopathien, auch Cystospasmus, bei Hydrops und Gicht angewandt. Äußerlich wird es auch bei chronischem Augenkatarrh mit Sehschwäche gebraucht.

Lactuca virosa wird meistens als Einzelmittel verordnet.

Angewandter Pflanzenteil:

Paracelsus empfiehlt zur Verwendung die Samen und ein „Wasser aus dem Kraut“, das Kraut selbst lehnt er ab.

Lonicerus und Matthiolus kennen Kraut und Samen zu ärztlichem Gebrauch. Alle späteren Autoren erwähnen nur das Kraut bzw. die Blätter. Die ganze frische, zur Zeit der Blüte gesammelte Pflanze läßt auch das HAB. zur Herstellung der Urtinktur verwenden (§ 1). Dasselbe Ausgangsmaterial wird zur Bereitung des „Teep“ benutzt.

Herba Lactucae virosae ist offizinell in Portugal und Venezuela.

Dosierung:

Übliche Dosis:

0,1 g Extractum Lactucae virosae (Haffner-Schulz);

0,1 g Lactucarium germanicum (Haffner-Schulz).

1-3 Tabletten der Frischpflanzenverreibung „Teep“ nach Bedarf.

(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,125 g Hb. Lactucae virosae c. rad.)

In der Homöopathie:

dil. D 3-4.

Maximaldosis:

0,5 g pro dosi, 2 g pro die Extract. Lactucae vir. (Ergb.);

0,3 g pro dosi, 1 g pro die Lactucarium germanicum (Ergb.).

Rezeptpflichtig:

Lactucarium, Extractum Lactucae virosae.

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Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938
Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.

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